ZUM THEMA

SPRITZEN: Geschichte der weiblichen Ejakulation.

Ein Text von Stephanie Haerdle

Wer weiß, dass auch Menschen mit Vulva eine Prostata haben? Wer, dass auch Frauen beim Sex spritzen?

Lange kannte man die weibliche Prostata, antike Texte beschrieben sie als Homolog zur Prostata des Mannes. Auch eruptive weibliche Sexflüssigkeiten wurden ganz selbstverständlich jahrtausendelang beschrieben. Tabuisiert, verdrängt und vergessen wurden Prostata und Ejakulation erst im 18., 19. Jahrhundert.

Ihre Geschichte ist, wie auch die der Klitoris, eine von Entdeckung, Beschreibung und Vergessen, Wieder-Entdeckung, Wieder-Beschreibung und Wieder-Vergessen.

Das weibliche Genitale und die weibliche Lust sind überraschend wenig beforscht. Der Gender-Data-Gap, der auch grundlegende Fragen zu beispielsweise Orgasmus, Menstruation, Verhütung, Klitoris oder Endometriose betrifft, macht vor Ejakulation, Squirting und Prostata nicht halt.

Der Wiener Urologe Florian Wimpissinger stellte 2007 fest:

„Interessant ist, dass selbst anatomisch und chirurgisch versierte Spezialisten aus den Reihen der Fachärzte für Urologie und Gynäkologie sowie Anatomie die Frage nach der Existenz einer Prostata der Frau meist nicht sicher beantworten können.” 1

Die Autorin und Aktivistin Naomi Wolf zitiert in ihrem Buch über die Vagina die US-amerikanische Ärztin und Therapeutin Nancy Fish: „Was die medizinische Versorgung und das Wissen um den Bereich der Vagina betrifft, befinden wir uns absolut im Mittelalter.”2

Wichtig ist aber nicht nur, dass wir das Mittelalter hinter uns lassen und weiter forschen. Das Wissen um Prostata und Ejakulation muss auch in den Mainstream getragen werden, in die Schulen und medizinischen Curricula.

Julia Frankenberg bringt mit ihrer Kunstaktion „Squirt-Eis“ die Prostata in die Straßen und legt Prostatae in gleich fünf Geschmacksrichtungen auf neugierige Zungen. Möge, wer Prostatateis mit Curaçao-Limette-Geschmack gekostet hat, auch die fleischlichen Manifestationen der weiblichen Prostata mit Wissensgier und Genuss erforschen.

Stephanie Haerdle im Gespräch mit Julia Frankenberg / Squirt-Eis

Nicht alle Frauen und Menschen mit Vulva ejakulieren oder squirten. Ein österreichisches Forscherteam wertete 2007 alle bislang publizierten Studien zum Thema aus. Das Ergebnis: 10 bis 69 Prozent aller Frauen hatten beim Sex schon einmal gespritzt.3

Die emittierten Flüssigkeiten unterscheiden sich. Jüngere Studien((

Vgl. Pastor, Zlatko/ Roman Chmel (2018): „Differential diagnostics of female ›sexual‹ fluids: A narrative review“, in: International Urogynecology Journal, 2018, 29, 621-629; Rubio-Casillas, Alberto/ Jannini, Emmanuele A. (2011): „New Insights from One Case of Female Ejaculation“, in: The Journal of Sexual Medicine, 2011, 3500-3504; Salama, S. et al. (2015): „Que sait-on des femmes fontaines et de l’éjaculation feminine en 2015?“, in: Gynécologie Obstétrique & Fertilité, Volume 43, 449-452; Younis, Ihab und Rehab M. Salem: „Female ejaculation: who is going to sleep on the wet side of the bed?“, in: Human Andrology, 2016, 6:86-91, 2090-6048. Einige  Studien nennen Urin in Folge koitaler Blasenschwäche als dritte Flüssigkeit.)) erklären diese Variabilität damit, dass beim Spritzen zwei unterschiedliche Flüssigkeiten durch zwei unterschiedliche Mechanismen aus zwei unterschiedlichen Organen parallel oder kurz nacheinander ausgestoßen werden. Das eine ist ein weißliches, dickflüssiges Sekret, das in der Prostata produziert, von der Prostata in die Harnröhre geleitet und über die Harnröhrenöffnung und manchmal, falls Kanäle des Prostatagewebes auch in den Vaginalkanal münden, über den Vaginaleingang ausgestoßen wird. Dieses Sekret umfasst wenige Milliliter, wird oft eher ausgepresst oder fließt. Die Flüssigkeit hat einen hohen PSA-Wert, das ist das prostataspezifische Antigen, und sie ähnelt dem Prostatasekret des Mannes. Die zweite Flüssigkeit ist hingegen klar, wässrig, sie stammt aus der Blase und enthält Harnstoff, Harnsäure und Kreatinin. Sie wird oft mit großem Druck und in Mengen von bis zu mehreren 100 Millilitern aus der Harnröhre gespritzt. Da sich die Flüssigkeiten deutlich unterscheiden, solle im ersten Fall von „weiblicher Ejakulation”, im zweiten von „Squirting” gesprochen werden. Wichtig ist auch: Ejakulation und Orgasmus müssen nicht zusammenfallen. Frauen spritzen auch, ohne zu kommen.

Ich verwende das Verb „spritzen“ und den Begriff „weibliche Ejakulation“ im Zusammenhang mit beiden Säften. In meinem Buch habe ich mich mit der „Geschichte“ dieser Flüssigkeiten beschäftigt. Mich interessierte, wie man zu anderen Zeiten über das Fließen und Spritzen der Frau dachte, wie man dieses Phänomen deutete und wie man es instrumentalisierte. 

Die Suche nach Spuren und Zeugnissen zur Ejakulation der Frau führte mich bis weit in die vorchristliche Zeit und rund um den Erdball. Und die Funde überraschten mich: Jahrtausendelang war die Ejakulation sowohl für den Mann als auch für die Frau ein selbstverständlicher Teil sexuellen Erlebens. In meinem Buch erzähle ich, was in den letzten Jahrtausenden über die weibliche Ejakulation gewusst, geschrieben und gedichtet wurde. Hier ein eislängenkurzer Einblick in die vielfältigen Vorstellungen weiblichen Spritzens:

Im alten China galten die erotische Begegnung und die Vereinigung von Mann und Frau als zu erlernende Kulturtechnik, Körperkunst, medizinische Anwendung und beglückende Lusterfüllung in einem. Das Wissen über den weiblichen Körper, seine Anatomie und seine sexuelle Reaktion waren wichtig. In der sexuellen Begegnung von Mann und Frau spiegelten sich universale, kosmische Kräfte. Schlief ein Paar miteinander, vereinigten sich Himmel und Erde. Die Körper begegneten sich im Liebesspiel als gleichwertige Partner*innen. Lust und Orgasmus gehörten für beide Geschlechter zum Sex dazu. In einem wichtigen Punkt unterschieden sich Mann und Frau allerdings: Dem Mann stand sein Samen nur in begrenzter Menge zur Verfügung, während die genitalen Säfte der Frau aus unerschöpflichen Quellen flossen. Während der Mann seine Ejakulation kontrollieren musste, kam die Frau mehrmals zum Orgasmus und ejakulierte so häufig wie möglich. In diesem Konzept von Sex und Erotik war die Frau potent. In alten chinesischen Texten ist die Ejakulation der Frau, bezeichnet als Brunnensaft, Pfirsichsaft oder Mondblumenwasser, allgegenwärtig. Frauen durften masturbieren oder mit anderen Frauen schlafen, denn es galt: Je häufiger sie Sex hatten, umso energiereicher wurden ihre Säfte. 

Illustration: Julia Frankenberg

Alte europäische Konzepte von Sex und Körpern unterschieden sich erheblich von den chinesischen. Die Frau galt in der griechisch-römischen Antike als fehlerhafte Ausgabe des Mannes, als passives, in fast jeder Hinsicht unterlegenes Geschöpf.4 Ihre sexuelle Lust und Befriedigung spielten kaum eine Rolle. Die wichtigste genitale Flüssigkeit der Frau wurde jetzt der „weibliche Samen“. Kinder entstanden, waren sich zumindest die Anhänger der Zwei-Samen-Theorie sicher, wenn sich der weibliche und der männliche Samen in der Gebärmutter mischten. Der weibliche Samen wird in vielen Texten der Zeit beschrieben, allerdings insbesondere im Kontext der Fortpflanzung.5

Die mittelalterlichen und neuzeitlichen Theoretiker*innen und die katholische Kirche übernahmen die Vorstellung eines weiblichen, für die Zeugung notwendigen Samens. Für den Theologen Thomas Sanchez (17./18. Jahrhundert), war der weibliche Samen selbstverständlich und für die Empfängnis unverzichtbar: „Wahrscheinlich ist, wenn die Frau keinen Samen absondert, dann kann aus dieser Verbindung keine Befruchtung erfolgen.”((Zitiert nach zur Nieden, Sabine: „Weibliche Ejakulation. Variationen zu einem uralten Streit der Geschlechter“, Gießen 2009, S. 41.)) Die Theologen glaubten nicht nur, dass Frauen bei lustvollem Sex ejakulierten, sie erörterten auch, ob Männer den Beischlaf bis zur Ejakulation der Frau ausdehnen müssten und ob das Paar idealerweise gleichzeitig zum Erguss kommen sollte. Der weibliche Samen war für die Zeugung essenziell, er galt zugleich als untrügliches Zeichen weiblicher Lust. Viele Quellen belegen, dass Frauen ihren Samen nicht irgendwann, sondern zum Orgasmus verspritzten.6 Die Frauenheilkunde der Zeit kannte viele Rezepte, um festsitzenden weiblichen Samen zu lösen. So half zum Beispiel eine Unterleibs-Kompresse aus gemahlenem Salzstein, Natron, Salzwasser und Essig. Dadurch „entsteht nämlich ein Beißen, so daß der Same manchmal ausgeworfen wird; andernfalls muß die Frau sich selbst einen Finger einführen, damit sie durch dessen Bewegung und sein Kitzeln fähig wird, ihre Samenflüssigkeit von sich zu geben.” ((Zitiert nach Goehl, Konrad: „Frauengeheimnisse im Mittelalter. Die Frauen von Salern. Gynäkologisches und kosmetisches Wissen des 12. Jahrhunderts aus den Handschriften zusammengestellt und übersetzt von Konrad Goehl“, Baden-Baden 2010, S. 20.))

Die Wahrnehmung der sexuellen Flüssigkeiten der Frau und ihre Interpretation war und ist geprägt von den kulturellen, medizinischen und religiösen Vorstellungen der Zeit. So ist es kein Zufall, Achtung, wir machen einen großen zeitlichen Sprung, dass die weibliche Ejakulation ausgerechnet in der Ära neuer sozialer Bewegungen, in den Jahren der sexuellen Revolution und der Frauen- und Lesbenbewegung, ihre Renaissance erlebte.

Ein 1978 veröffentlichte Aufsatz zweier US-Amerikaner*innen7 war der Startschuss. Ihre These: die weibliche Ejakulation sei erst im 20. Jahrhundert verdrängt worden, weil sie nicht ins vorherrschende Konzept weiblicher Sexualität passe. 1982 publizierten Alice Kahn Ladas, Beverly Whipple und John Dr. Perry „Der G-punkt. Das stärkste erotische Zentrum der Frauen“. Das Buch setzte sich insbesondere mit G-Fläche und weiblicher Ejakulation auseinander und wurde zum populärwissenschaftlichen internationalen Bestseller. Zur weiblichen Ejakulation schrieben die drei US-Amerikaner*innen verwundert: „Wie ist es nur möglich, daß ein Phänomen, das so weit verbreitet ist wie die Ejakulation der Frau, vom Ärztestand nicht anerkannt, sondern als viktorianische pornographische Phantasien oder Harn-Streßinkontinenz abgetan wurde?“.((Kahn Ladas, Alice, Beverly Whipple, John D. Perry: Der G-punkt. Das stärkste erotische Zentrum der Frauen, München 1983, S. 79.))

Die Feministische Frauengesundheitsbewegung war ab den 1980er Jahren wesentlich an der Wiederentdeckung von weiblicher Ejakulation und Prostata beteiligt. In dem reich bebilderten und bis heute wegweisenden Buch „A New View of A Woman’s Body“, herausgegeben von der Föderation der Feministischen Frauen Gesundheits Zentren (USA), wurde die weibliche Ejakulation, in der deutschen Ausgabe als „Freudenfluss“((

Föderation der Feministischen Frauen Gesundheits Zentren (USA) (Hg.): „Frauenkörper – neu gesehen. Ein illustriertes Handbuch“, Berlin 1987, S. 54. Eine von Laura Méritt herausgegebene überarbeitete Neuausgabe ist 2012 im Orlanda Verlag erschienen.))

übersetzt, beschrieben. Sie wurde allerdings keine Selbstverständlichkeit im feministischen Diskurs. Viele Protagonistinnen der Zweiten Frauenbewegung begegneten ihr ganz im Gegenteil mit Skepsis. Sie fürchteten neue sexuelle Standards (jede muss spritzen!) und alte Ideale (vaginale Penetration, vaginaler Orgasmus!). Spritzen „wie ein Mann”, musste das sein? War frau nicht im Gegenteil gerade dabei, eine ganz andere und von männlichen Standards und Prägungen sich deutlich unterscheidende Sexualität zu entdecken?

Stephanie Haerdle mit Squirt-Eis

Einige Feministinnen setzten sich trotz aller Vorbehalte intensiv, laut und humorvoll mit der weiblichen Ejakulation auseinander. Entspannte Ejakulations-Pionierinnen wie Shannon Bell, Annie Sprinkle, Deborah Sundahl, deren Film „How to Female Ejaculate“ mich 1998 so beeindrucken würde, dass ich mit der Recherche zu „SPRITZEN“ begann, oder, hier in Deutschland, die Berliner Sexaktivistin und Linguistin Laura Méritt, vermittelten ihre Kenntnisse rund um das weibliche Abspritzen via Video, Performance, Buch oder Workshop.

Die Ejakulation fügt sich in ein Konzept vielfältiger, weiblicher Sexualität ein. Manche Frauen und Menschen mit Vulva ejakulieren, manche ejakulieren nicht. Für einige ist es die befriedigendste Art zu kommen, für andere ist das Spritzen unangenehm, überflüssig oder lästig (nicht schon wieder die Laken wechseln …). Frauen stehen unter großem Druck, was ihre Sexualität und ihre „Performance“ im Bett betrifft. Das Wissen um die vulvarische Ejakulation soll aber ganz im Gegenteil Gelassenheit ermöglichen. Es geht darum, dass Frauen die Möglichkeit haben, zu ejakulieren. Dass sie WISSEN, was sie tun, wenn sie spritzen. Dass die Ejakulation, die jahrtausendelang ein selbstverständlicher Teil weiblicher Sexualität und Lust gewesen ist, wieder erkannt, benannt und erlebt werden kann. Dass wir Bilder lustvoller, potenter, aktiver, mit Genuss ejakulierender Frauen und Menschen mit Vulva in das kulturelle Gedächtnis aufnehmen. Und dass wir unermüdlich dafür kämpfen, Sex wieder als großes, Zärtlichkeit, Lust, Humor und Wissen verbindendes Fest aller Körper zu verstehen. Gerne auch mit Squirt-Eis.

©2021 Stephanie Haerdle

Zur Person:

Stephanie Haerdle studierte Neuere deutsche Literatur, Kulturwissenschaft und Gender Studies (M. A.) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Dort lebt und arbeitet sie auch heute.

2007 veröffentlichte Haerdle „Keine Angst haben, das ist unser Beruf!Kunstreiterinnen, Dompteusen und andere Zirkusartistinnen“ (AvivA Verlag), 

2020 erschien „Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation“ in der Edition Nautilus.

  1. Wimpissinger, Florian: „Die weibliche Prostata – Faktum oder Mythos“, in: urologie, 2/07, 2007, S. 18-20, S. 18. []
  2. Wolf, Naomi: „Vagina. Eine Geschichte der Weiblichkeit“, Hamburg 2014, S. 137. []
  3. Wimpissinger, Florian und Karl Stifter, Wolfgang Grin, Walter Stackl: „The female prostate revisited: perineal ultrasound and biochemical studies of female ejaculate“, in: The Journal of Sexual Medicine, Juli 2007, S. 1388-1393, S. 1391. []
  4. Vgl. Laqueur, Thomas: „Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud“, München 1996, S. 39 ff. []
  5. Vgl. Haerdle, Stephanie: „Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation“, Hamburg 2020, S. 53ff. []
  6. Vgl. Haerdle, Stephanie: „Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation“, Hamburg 2020, S. 62 ff. []
  7. Sevely, J. Lowndes und J. W. Bennett: „Concerning Female Ejaculation and The Female Prostate“, in: The Journal of Sex Research, Volume 14, Nr. 1, Februar 1978, S. 1-20. []